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Montag, 27. Februar 2012

Spur der Steine

Foto zum Film «Spur der Steine»

Hannes Balla ist der Platzhirsch auf der Grossbaustelle von Schkona Anfang der 60er-Jahre in der DDR. Balla ist ein körperlich präsenter Mann, kein SED-Mitglied, denn Parteikram und Korsette jeglicher Art sind ihm ein Graus. Seine siebenköpfge Baugruppe ist bei der Partei und Kollegen nicht gerade besonders beliebt, seine Arbeit allerdings wird geschätzt. Balla sorgt für seine Männer und achtet darauf, dass sie ordnungsgemäss bezahlt werden. Das Machtgefüge verändert sich allerdings, als die junge Ingenieurin Kati Klee und der neue Parteisekretär Werner Horrath auf der Baustelle erscheinen. Hannes sieht seine Position gefährdet, weil Horrath eine durchaus interessante Persönlichkeit ist, die den Vergleich mit Balla nicht zu scheuen braucht. Die attraktive Kati Klee zwingt Hannes, seine Draufgängermaske zu lüften und etwas von seinem wahren Wesen preiszugeben. Der Film stellt anhand der drei Hauptfiguren die verschiedenen Interessen im Umkreis von Wirtschaft, Staat und Privatleben in ihren Gegensätzen dar. Der Film bekräftigt die Überzeugung, die Verhältnisse zum Besseren wenden zu können, gleichzeitig übt er auch Kritik an Dummheit, Egoismus, Inkompetenz und Machtgerangel, die sich hinter abstrakten Parteiparolen verschanzen. Der Film wurde nach drei Aufführungstagen im Juni 1966 wegen «antisozialistischer Tendenzen» aus den Kinos verbannt, und erst im Oktober 1989 durfte der Film wieder in der DDR aufgeführt werden. Ein Auszug aus der Filmkritik von 1966 in «Neues Deutschland»: «Der Film […] gibt ein verzerrtes Bild von unserer sozialistischen Wirklichkeit, dem Kampf der Arbeiterklasse, ihrer ruhmreichen Partei und dem aufopferungsvollen Wirken ihrer Mitglieder wieder […]»

Eine geschichtliche Einordnung

Als die Dreharbeiten Anfang Mai 1965 begannen, wurde Frank Beyer zum Kulturminister zitiert, der sich um eine «korrekte» Darstellung der SED-Parteifunktionäre sorgte, obwohl Beyer, wie es damals üblich war, das Drehbuch bereits Monate vorher allen Instanzen vorgelegt und schliesslich eine Freigabe zur Produktion erlangt hatte. Bereits Ende Oktober 1965 waren die Dreharbeiten abgeschlossen, so dass eine Rohschnitt-Fassung zur Abnahme durch die Hauptverwaltung Film des Ministeriums für Kultur vorlag. Trotz der zunehmend kritischen Begutachtung des zeitgenössischen Filmschaffens durch die Hauptverwaltung Film erlangte Spur der Steine dennoch Ende Oktober 1965 die Freigabe durch das Gremium.

Nur zwei Monate später, auf dem XI. Plenum des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965, änderte sich die kulturpolitische Stimmung im Lande grundlegend. Unter dem Vorsitz des damaligen Zentralkomitee-Sekretärs Erich Honecker wurden fast die komplette DEFA-Jahresproduktion an Gegenwartsfilmen als regimekritisch eingestuft und aus dem Verleih genommen und in Archiven eingelagert.

Noch nicht von dem Verbot betroffen, wurde am 15. Juni 1966 Spur der Steine im Rahmen der 8. Arbeiterfestspiele in Potsdam uraufgeführt und avancierte zu einem Publikumserfolg. Dennoch geriet der Film anschliessend ins Fadenkreuz der Zensur. Am 29. Juni 1966 beriet das Sekretariat des ZK (Zentralkomitees der SED) über Spur der Steine und beschloss, den Film spätestens eine Woche nach Kinostart wieder abzusetzen.

Beim Kinostart am 30. Juni 1966 im Ostberliner International kam es zum Eklat. Nach wenigen Minuten wurde die Vorführung von organisierten Protesten gestört, die mit Zwischenrufen den Filmbetrieb massiv beeinflussten. Der damalige Minister für Kultur in der DDR, Klaus Gysi, rechtfertigte den Protest, da der Film «aufgrund von falschen politischen Positionen seines Regisseurs auch künstlerisch ganz schwach sei, eben ein Machwerk in jeder Beziehung»! Weitere Filmvorführungen in Ostberlin, Rostock und Leipzig wurden ebenfalls nach dem gleichen Schema boykottiert, so dass der Streifen nach nur drei Tagen landesweit aus dem Programm genommen werden musste. Die Berichterstattung in den Medien der DDR blieb untersagt, lediglich die von der SED gesteuerte Neues Deutschland veröffentlichte eine «gelenkte» Filmkritik (siehe Rückseite).

Der als partei- und staatsfeindlich eingestufte Film Spur der Steine verschwand daraufhin für 23 Jahre in den DEFA-Archiven und wurde zu einem der bekanntesten Kellerfilme. Erst am 28. Oktober 1989 konnte der Film in Berlin zum ersten Mal nach 1966 öffentlich gezeigt werden und am 23. November 1989 wieder öffentlich in den DDR-Kinos aufgeführt werden.

2011/2012 Büez

Eintritt: je CHF 15
Mitglieder: gratis